railaxed - WINTER 2022

ielleicht ist er schon neben Ihnen gesessen. Ein sympathischer, redseliger Mann mit grauer Wuschelfrisur, einer, der viel liest, in seinen Laptop tippt, aus dem Fenster schaut, seiner Musik lauscht – oder doch den Ge- sprächen der Mitreisenden? Vielleicht ist er Ihnen bereits im Zugrestaurant begegnet, denn dort hält sich Jaroslav Rudiš auf Reisen am allerliebsten auf. Den lukullischen Genüssen an Bord widmet der Autor in seinem Besteller „Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen“ gleich mehrere Passagen: „Wo ist der Speisewagen? So lautet die wichtigste Frage, die man sich stellt, wenn der Zug am Bahnsteig einrollt. Wenn man Glück hat, ist ein Speisewagen dabei. Und wenn man noch mehr Glück hat, ist sogar jemand wie Herr Popović oder Herr Peterka dabei. Jeder Speisewagen serviert andere Würstchen. Herr Popović bietet die sehr fleischige Krainerwurst an. Immer zwei Stück. Wenn man sie vor Semmering bestellt, braucht man bis nach Triest nichts mehr zu essen. Bei der Deutschen Bahn gibt es als Klassiker zum Bier die Currywurst mit Pommes und manchmal die Nürnberger Bratwürste. Im Railljet der ÖBB esse ich gerne die feinen Sacherwürstel, die an die langen Schienenstränge erinnern. Im polni- schen Speisewagen WARS bekommt man zum englischen Frühstück Würstchen der im Land beliebten Marke Sokołów. Und Herr Peterka serviert im tschechischen Speisewagen Spišské párky von einem kleinen Fleischer aus einem Prager Vorort. Benannt wurden sie nach Spiš, der von Deutschen besiedelten Gegend Zips in der Ostslowakei. Sie schmecken wie die ungari- Bahnschienen als Lebensadern: Jaroslav Rudiš ist Schriftsteller und Weichensteller für ein vernetztes Europa. Er reist mit dem Zug, aber oft ohne Ziel. Und schreibt mit großer Wortgewalt über die Magie der Eisenbahn. Fenster mit Bahnblick V JAROSLAV RUDIŠ Zur Person Sein Großvater war Weichensteller, sein Onkel Fahrdienstleiter und sein Cousin Lokführer. Klar, dass Jaroslav Rudiš selbst so oft wie möglich Zug fährt. Die Eisenbahn spielt in vielen seiner Bücher („Winterbergs letzte Reise“, „Gebrauchs­ anweisung fürs Zug- reisen“, „Trieste Centrale“, aktuell: „Durch den Nebel“) eine große Rolle. Der Tscheche mit Zweit- wohnsitz Berlin liebt den Weg mehr als das Ziel. Seine andere Passion? Die „Kafka Band“, mit der er durch Europa tourt – auf Schiene, versteht sich. Text – Janina Lebiszczak Fotos – Michael Mayer Der Vielfahrer holt sich seine Inspirationen unterwegs. 46 railaxed Winter 2022 47 Gleisgeschichten

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