railaxed - WINTER 2022
schen Debrecziner, die man aus Österreich kennt. Ganz Mitteleuropa duftet dann auf dem kleinen Teller.“ Ein Leben auf Schiene Hungrig auf mehr? Jaroslav Rudiš bietet für fast jeden Gusto das passende Schmankerl. Neben seiner Leidenschaft für die Eisenbahn ist er glühender Europäer und wurde 2021 als „einer der engagiertesten Brückenbauer zwischen Deutschland und Tschechien“ mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland geehrt. 2019 wurde er für seinen Roman „Winterbergs letzte Reise“ – der erste Roman, den er auf Deutsch verfasst hat – auf der Leipziger Buchmesse in der Kategorie „Belletristik“ nominiert, 2020 erhielt er dafür den Chamisso-Preis. Er beschäftigt sich intensiv mit europäischer Geschichte, verfasst Comics, Drehbücher – und auch sein Musikprojekt ist von Welt- literatur aus seiner Ursprungsheimat in- spiriert: Gemeinsam mit sechs anderen Musikern steht Rudiš bei den Auftritten der „Kafka Band“ auf der Bühne. Eine tschechi- sche Allstar-Truppe, die er mit dem Comic- zeichner „Jaromír 99“ gegründet hat. Wenn er auf Tour geht, dann natürlich nur mit dem Zug. Und auch wenn das Zitat „Der Weg ist das Ziel.“ schon etwas abgegriffen ist, auf Rudiš trifft es zu: „Ich fahre sehr gerne Zug. Fast lebe ich im Zug. Ich mag Bahnhöfe, Bahnhofskneipen, die Geschichten, die man hört. Ich mag auch die Leute, die Reisenden, und natürlich auch die Eisenbahner. Ich wäre selbst gerne einer geworden. Meine erste Wohnung in Prag war sehr klein. Aber: Fenster mit Bahnblick. Genau deswegen hatte ich mich in diese Wohnung sofort verliebt.“ Im Netz der Eisenbahn Und heute? Als leidenschaftlicher Bahnfahrer führt ihn sein Weg selten von A nach B. Es ist das Reisen ohne Druck, das ihn reizt und befreit. „Für mich hat die Eisenbahn etwas Beruhigendes, Meditatives. Ich fahre oft auch mal so los. Wenn ich mit einem Text nicht weiterkomme, kaufe ich mir ein Ticket und steige ein.“ Eine Lieblingsstrecke hat Rudiš nicht, nur bevorzugte Erinnerungen: „Jede längere Fahrt ist spannend. Eine Reise durch mehrere Länder, zum Beispiel, wenn man von Berlin über Tschechien nach Wien fährt. Zu sehen, wie sich die Landschaft und die Menschen verändern. Die vielleicht schönste Fahrt war die, die ich im letzten Jahr für das Buch ,Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen‘ gemacht habe. Die ging von Berlin nach Marseille, dann weiter nach Rom und Palermo und dann nach Finnland. Man gewöhnt sich an den Sound und die sehr angenehme Bewegung, an das leichte Wanken und Schaukeln. Als ich am Ende der Reise wieder in Berlin angekommen war, dachte ich: „Ich muss wieder losfahren, ich möchte weiterfahren.“ In Österreich faszinie- ren den Schriftsteller die historischen Stre- cken: „Über den Semmering bin ich schon oft nach Triest gefahren, das ist mehr als eine Reise. Man kann von der Vergangenheit träumen und bestaunen, was mutige Men- schen wie der Eisenbahnpionier Carl von Ghega erschaffen haben.“ Aber auch kleine, kurze und wenig bekannte Strecken wie von Linz-Urfahr nach Aigen-Schlägl haben es ihm angetan: „Diese wunderschöne Landschaft lässt niemanden kalt. Nur beim Zugfahren kann man so tief in die Natur eintauchen, man wird ein Teil von ihr. Aber nicht nur die Nähe zur Umgebung und das entschleunigte Reisen gefallen mir: Bahngleise sind wie Lebensadern. Sie verbinden Länder, Städte, Kulturen und Menschen.“ Als ich am Ende der Reise angekommen war, dachte ich: Ich muss wieder losfahren, ich möchte weiterfahren. Jaroslav Rudiš Untertags oder nachts? Wie jeden „Eisenbahnmenschen“ freut es ihn sehr, dass auch die Lichter der Nightjets nun mehr in den Fahrplänen aufleuchten. „Die Österreicher haben die Nachtzüge gerettet, die von vielen anderen Staatsbahnen aus- gemustert wurden, und bescheren diesen Hotels auf Schienen ein Comeback, wodurch Wien nicht nur mit Lemberg und Kiew, sondern auch mit Berlin, Zürich, Amsterdam, Brüssel, Bukarest, Venedig und Rom ver- bunden ist. Bald werden auch noch andere Reiseziele folgen – das freut mich!“ Nach- satz: „Am liebsten reise ich allerdings unter- tags, da kann ich besser beobachten. Die Wirkung einer bewusst erlebten Zugfahrt sollte man nicht unterschätzen.“ Falls Sie also bei Ihrer nächsten Reise im Bord- restaurant auf Jaroslav Rudiš treffen, setzten Sie sich ruhig neben ihn und laden ihn auf ein Bier ein. Vielleicht taucht dann auch Ihre Geschichte bald in seinen Büchern auf. • Im Netz: Unter #bahnzeit und @jaroslavrudis postet er Fotos von seinen vielen Bahnreisen und den Aufritten der „Kafka Band“. Die ÖBB Gleisgeschichten … starteten 2018 als zuerst kleine und mittlerweile beachtlich gewachsene Online- Videoserie über außer- gewöhnliche und liebenswerte Menschen, die ihre ganz persön- liche Bahnleidenschaft teilen wollen. Alle Gleisgeschichten zum Nachschauen unter oebb.at/ gleisgeschichten Ode an die Bahn In „Gebrauchs anweisung fürs Zug- reisen“ (Piper Verlag) begibt sich der Autor auf Schienen durch ganz Europa. Rudiš widmet sich den besten Bahnhöfen und ver- webt die Historie der Eisenbahn mit den Geschichten der Men- schen, denen er be- gegnet. Und er verrät, warum die schnellste Strecke selten die Schönste ist. Dringende Leseempfehlung! Infos: rudis.cz Arbeit und Vergnügen: Hier schreibt und genießt Rudiš am liebsten. 49 railaxed Winter 2022 48
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