ÖBB Geschäftsbericht 2022
69 Konzernlagebericht Ukrainekrieg: Hilfe für Vertriebene und Stabilisierung der Warenströme Das Jahr 2022 hat eine Aussage in trauriger Weise bestätigt: Nach der Krise ist vor der Krise. Auf das vehemente Gegensteuern gegen die wirtschaftlichen Folgewirkungen der Pandemie für den ÖBB-Konzern folgte mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24.02.2022 die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg, sowohl für die europäische Wirtschaft als auch für das gesamte europäische Bahnsystem. Die ÖBB waren als Teil des Krisenmanagements stark engagiert. Das betrifft die Bewältigung des Zustroms an Vertriebenen aus der Ukraine sowie die Stabilisierung der Internationalen Transportketten. Das Engagement erfolgte insbesondere auf internationaler Ebene im Rahmen der Vorsitzführung bei der Gemeinschaft der Europäischen Bahnen (CER). Im Bereich des Personenverkehrs ging es dabei ab dem ersten Tag des Krieges vor allem darum, flüchtende Frauen und Kinder in Sicherheit zu bringen. Im Laufe des Jahres 2022 wurden insgesamt knapp 500.000 sogenannte „Not- Tickets“ ausgestellt, die es Vertriebenen aus der Ukraine ermöglichten, mit ÖBB Zügen an ein sicheres Ziel zu gelangen. Tausende Vertriebene wurden in ÖBB Bahnhöfen, allen voran am Hauptbahnhof Wien, vorübergehend betreut und mit Essen und Schlafgelegenheit versorgt. Dank der guten Zusammenarbeit mit den betroffenen Behörden und zahlreichen Hilfsorganisationen – genannt seien hier vor allem die Caritas und die Volkshilfe – konnte rasche und effiziente Hilfe für Tausende Vertriebene reibungslos organisiert werden. Eine exemplarische Einzelmaßnahme soll hier noch genannt sein. Den ÖBB ist es auf Ersuchen des österreichischen Sportministeriums gemeinsam mit der polnischen Bahn PKP gelungen, 82 Schüler:innen der Sportschule Saporischnya nach Wien zu evakuieren und sicher in Salzburg unterzubringen. Im Bereich des Güterverkehrs ging es seit Kriegsbeginn vor allem darum, die notwendigen Rohstofflieferungen für die heimische Wirtschaft, in erster Linie Erz und Öl, ebenso wie internationale Getreidetransporte sicherzustellen. Diese Rohstofftransporte erfolgten über Ungarn nach Österreich. Sie konnten im Rahmen der EU Initiative „Solidarity Lanes“ und durch umfassendes Engagement der ÖBB Tochtergesellschaft Rail Cargo Hungaria abgesichert werden. Im Fokus standen auch die in Afrika dringend benötigten Getreidetransporte aus der Ukraine. Um diese erfolgreich abwickeln zu können, hat die Rail Cargo Group – im Zusammenspiel mit anderen Unternehmen – die sogenannte „Grain-Lane“ geschaffen. Dabei handelt es sich um einen Online-Marktplatz für ukrainische Landwirt:innen, Händler:innen, Logistikanbieter und Verbraucher:innen. Dank dieser Maßnahmen sowie aufgrund der Priorisierung von Getreidetransporten seit Kriegsausbruch transportiert die RCG seit 01.03.2022 monatlich rd. 150.000 t Getreide aus der Ukraine an ihren jeweiligen Bestimmungsort – nach Italien, Deutschland, Österreich, der Slowakei und Slowenien wobei der Großteil davon zum Weitertransport nach Afrika bestimmt ist. Seit Ausbruch des Krieges sorgten die ÖBB aber natürlich auch für Transporte von Gütern des täglichen Bedarfs in die Ukraine. Dabei handelte es sich um Lieferungen von Hilfsgütern ebenso wie von dringend benötigter Sicherheitsausrüstung für die Eisenbahner:innen der ukrainischen Bahn Ukrzalisznytsia (UZ). Steigende Energiepreise als große Herausforderung für Bahnunternehmen Zentrales Thema des Jahres 2022 waren für den gesamten Bahnsektor in Europa die steigenden Energiepreise. Neben der gesellschaftspolitischen Relevanz haben sie auch massive wirtschaftliche Auswirkung auf den gesamten ÖBB-Konzern. Durch vorausschauendes Agieren konnten die Auswirkungen der enorm gestiegenen Energiepreise im abgelaufenen Jahr noch im Rahmen gehalten werden. Gleichzeitig galt – und gilt – es aber, die Voraussetzungen sowohl für eine Abfederung der dadurch entstehenden Zusatzkosten für die Folgejahre zu schaffen als auch die stabile Versorgung der Bahnunternehmen mit Strom sicherzustellen. Auch in Österreich wurden mit dem Unternehmens-Energiekostenzuschussausgleichsgesetz 2022 sowie mit dem Strompreiskostenausgleichsgesetz auf Basis des EU-Krisenhilfenrahmens Unterstützungsmaßnahmen gesetzt. Diese sind jedoch für den Bahnsektor weitestgehend nicht nutzbar. Allerdings ist der Bahnsektor als besonders energieintensiver Bereich von der Explosion der Strompreise europaweit massiv betroffen. So wurde im 2. Halbjahr 2022 seitens der CER unter Vorsitz von ÖBB CEO Matthä eine umfassende Informations- und Lobbying-Initiative gestartet. Das Ziel war es, die europarechtlichen Grundlagen für Krisenhilfe an Bahnunternehmen zu erwirken. Zugleich galt es, im Zuge der aktuellen Energiekrise möglicher Energieknappheit entgegenzuwirken und die Abhängigkeit des Bahnsystems vom öffentlichen Strommarkt zu reduzieren. Dafür beschleunigte und erweiterte die ÖBB-Infrastruktur im abgelaufenen Jahr ihr Ausbauprogramm für die Produktion erneuerbarer Energie massiv. Ebenso wurde die langfristige Energieversorgungsstrategie angepasst. Bis 2030 sollen rd. 1,0 Mrd. EUR in den Ausbau der Strom-Eigenproduktion investiert werden. So soll der Anteil der Bahnstrom-Eigenversorgung für die Bahnunternehmen im ÖBB Netz auf bis zu 60% erhöht werden. Die ÖBB arbeiten aktuell intensiv an der notwendigen Anpassung rechtlicher Rahmenbedingungen mit, um die Beschleunigung der Umsetzung von Energieprojekten voranzutreiben. LB10 |
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